Dresden - "Es ist nicht das perfekte Verbrechen", sagt Eberhard Tschök über die Entführung seines Sohnes 1984 in Dresden. Er und seine Frau Lenore suchen seit mehr als 40 Jahren nach ihrem Felix, der mutmaßlich nach Russland verschleppt wurde und von dessen Verbleib sogar Wladimir Putin (73) wissen dürfte: "Wir sind uns sicher, dass Wladimir Putin weiß, wer die Entführer sind!"
"Für mich wäre es das Größte, Felix wiederzusehen", erzählt Lenore Tschök in der neuen SWR-Doku "Findet Felix - Das gestohlene Baby". Sie glaube nicht, dass er ihr trotz vier Jahrzehnten ohne Kontakt fremd sein würde. "Das wird eine ganz warme Atmosphäre sein - und dann gucken wir uns bloß an."
Bis es zu diesem Moment kommen kann, liegt aber noch Arbeit vor der sächsischen Familie. Denn die Umstände des 28. Dezember 1984 und Felix' Verbleib sind noch immer unklar.
An jenem Tag fahren Lenore und Eberhard mit ihrem fünf Monate alten Sohn in die Dresdner Innenstadt. Wie damals zu DDR-Zeiten üblich, stellen sie den Kinderwagen samt des schlafenden Felix vor das damalige Centrum-Warenhaus in der Prager Straße ab. Auch andere Eltern haben ihren Nachwuchs am heutigen Standort der "Centrum Galerie" platziert.
Eine halbe Stunde später ist der Kinderwagen leer und Felix verschwunden. Die Polizei ermittelt umgehend, findet aber lediglich eine Zeugin, die eine Frau wahrnahm, die sich über den Kinderwagen gebeugt habe. "Im Grunde genommen hatten wir gar nix", blickt der ehemalige Kripo-Hauptmann Eckhart Schuldt zurück.
Routinemäßig wird auch überprüft, ob Familie Tschök eine Straftat vertuschen und als Entführung tarnen wollte - ohne jeglichen Verdachtsmoment.
Dresdner Polizei arbeitete 1984 "genauso gut, wie wir das im Westen gemacht hätten"
Der langjährige Polizist und heutige Cold-Case-Ermittler Holger Kunkel sieht derweil keine Versäumnisse in der Polizeiarbeit von damals. "Die haben genauso gut gearbeitet, wie wir das im Westen gemacht hätten."
Am 6. Januar 1985, rund eine Woche nach dem Verschwinden, taucht in einem Treppenhaus in der Dresdner Neustadt ein in einem Karton festgebundener Junge auf. Das Kind, das bestätigt sich schnell, ist aber nicht Felix.
Zeugen hatten einen Mann mit großem Karton und Hut auf dem Kopf gesichtet, der in dieser Zeit nur von Russen, nicht aber von DDR-Bürgern getragen wurde. Auch ein sowjetischer Militärjeep in der Nähe ist ein weiteres Indiz, das die Ermittler zur Annahme kommen lässt, dass ein UdSSR-Offizier dahintersteckt. Zudem reagierte das Kind nur auf die russische Sprache.
Auch das Motiv dürfte klar sein. Das Findelkind weist Einstichstellen in der Armbeuge auf, war offensichtlich krank. Die Eltern wollten es mutmaßlich gegen ein augenscheinlich gesundes Kind austauschen.
Der Zusammenhang zwischen Felix und dem unbekannten Jungen ist auch da: An seinem Schnuller befindet sich neben seiner Blutgruppe B auch A - Felix' Blutgruppe. Ex-Polizist Schuldt: "Wir gehen davon aus, dass das entführte Kind und das ausgesetzte Kind eine Woche lang zusammen waren."
DDR-Entführung 1985: "Wir sind uns sicher, dass Wladimir Putin weiß, wer die Entführer sind"
Wladimir Putin, von 1985 bis 1990 Offizier der KGB (Komitee für Staatssicherheit) in Dresden, da sind sich viele Beteiligte sicher, dürfte von dem spektakulären Entführungsfall erfahren haben.
Bei einem Staatsbesuch des russischen Präsidenten 2006 schreit Lenore: "Herr Putin, helfen Sie mir, meinen Sohn zu finden." Wie später herauskommt, hat der heute 73-Jährige die Bitte wahrgenommen und die Wiederaufnahme der Ermittlungen veranlasst.
2016 kommt es zudem zu einem im Nachhinein fragwürdigen Aufeinandertreffen. Ein im Entführungszeitraum in Dresden stationierter KGB-Offizier lädt Eberhard Tschök zu sich ein. Nach einem nur wenige Minuten andauernden Informationsaustausch verabschieden sich die Männer und Felix' Papa erhält als Gastgeschenk ein Bernsteinbild. Erst später fragt er sich: War das in Wirklichkeit der Vater des ausgesetzten Kindes und hat er meinen Sohn großgezogen? Erhoffte DNA-Spuren werden an dem Gemälde nicht gefunden.
Bis heute hofft Familie Tschök auf Hinweise oder gar einem Lebenszeichen ihres Felix, der heute 41 Jahre alt ist. Weitere Infos unter wo-ist-felix.de.
Die dreiteilige Doku "Findet Felix! Das gestohlene Baby" ist ab sofort in der ARD-Mediathek abrufbereit. Im linearen TV werden die drei Teile in der Nacht zum 8. Januar ab 1 Uhr im SWR ausgestrahlt.