Amoklauf in Hamburg: Haben Behörden diese krude Schrift des Täters übersehen?

Hamburg - Nach dem Amoklauf in Hamburg mit acht Toten und acht Verletzten, stellt sich die Frage, ob das Blutbad nicht doch hätte verhindert werden können. Schließlich hatten die Sicherheitsbehörden den mutmaßlichen Täter Philipp F. (†35) auf dem Zettel.

In diesem Gebäude im Hamburger Stadtteil Groß Borstel tötete Philipp F. am Donnerstagabend sieben Menschen und sich selbst.
In diesem Gebäude im Hamburger Stadtteil Groß Borstel tötete Philipp F. am Donnerstagabend sieben Menschen und sich selbst.  © Christian Charisius/dpa

Polizeipräsidenten Ralf Martin Meyer (63) berichtete auf der Pressekonferenz am Freitagmittag davon, dass der 35-Jährige bereits im Januar 2023 ins Visier der Waffenbehörde geriet. Grund war ein anonymer Hinweis. Jemand, der F. anscheinend gut gekannt haben musste, schrieb davon, dass es Anzeichen für eine psychische Erkrankung gebe und daher sein Verhalten und die waffenrechtlichen Vorschriften geprüft werden sollten.

Außerdem soll der Hinweisgeber von einer besonderen Wut auf religiöse Anhänger geschrieben haben. Der habe insbesondere den Zeugen Jehovas und F.s ehemaligem Arbeitgeber gegolten. Das Schreiben wurde ernst genommen.

Denn F. durfte legal eine Pistole besitzen. Die Waffenbesitzkarte erhielt er am 6. Dezember 2022, wenige Tage später – am 12. Dezember 2022 – besorgte er sich eine Waffe: eine P30 vom Hersteller Heckler & Koch.

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Die halbautomatische Pistole wird auch von der Polizei eingesetzt. Mit ihr gab er am Donnerstag ab kurz nach 21 Uhr 135 Schuss ab und tötete acht Menschen, darunter ein ungeborenes Baby.

Zurück zum anonymen Hinweis. Am 7. Februar 2023 klingelten zwei Beamte der Waffenbehörde unangemeldet bei dem nicht vorbestraften 35-Jährigen.

War Philipp F. ein "religiös-radikalisierter Extremist"?

Hunderte Polizisten waren nach dem Blutbad in Hamburg im Einsatz.
Hunderte Polizisten waren nach dem Blutbad in Hamburg im Einsatz.  © Jonas Walzberg/dpa

Laut Polizeipräsident Meyer habe er sich "kooperativ" gezeigt und "erteilte bereitwillig Auskunft". Waffe und Munition seien ordnungsgemäß im Waffenschrank aufbewahrt worden. Bis auf "eine Kleinigkeit" habe es keine Beanstandung gegeben, also beließ man es bei einem mündlichen Verweis.

Auch bei einer vorherigen Internetrecherche sei nichts Auffälliges entdeckt worden. An dieser Stelle wird es interessant. Auf seiner Internetseite preist sich F. nicht nur als freiberuflicher Unternehmensberater, dort wirbt er für ein Buch, das er auf Englisch verfasst hat. Kurz vor der Tat am Donnerstagabend wies F. erneut in einem Sozialen Netzwerk auf die Publikation hin und schrieb von einer "100-Prozent-Zufriedenheitsrate".

Auf 292 Seiten geht es darin um "Die Wahrheit über Gott, Jesus Christus und Satan". F. schrieb: "Adolf Hitler war somit der menschliche Vollstrecker Jesu Christi." Als eine "Handlung des Himmels" bezeichnet er die Judenverfolgung. Religionspädagogin Lamya Kaddor (44, Grüne) hat sich das Buch für T-Online angesehen und spricht vom "Werk eines religiös-radikalisierten Extremisten". Das zeige "bereits ein flüchtiger Blick". Weitere Experten sehen es bei T-Online ähnlich.

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Die Sicherheitsbehörden müssen sich daher der unbequemen Frage stellen, ob der Amoklauf verhindert hätte werden können. Einfach aufzufindende Anzeichen für die krude Weltsicht des Amokläufers hat es schließlich gegeben. Haben die Beamten das Buch übersehen? Kamen sie nach dem Lesen zu einer anderen Einschätzung?

Titelfoto: Christian Charisius/dpa

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