Wieso dieses Hamburger Café Menschen zu Tränen rührt

Hamburg - Seit Wochen stehen die Menschen vor der "Pâtisserie Johanna" in der Hamburger Hafencity Schlange. TAG24 sprach mit Inhaberin Inka Orth (59) und Konditormeister Marcel Reinhardt (24) über ihr Erfolgskonzept und die traurige Geschichte hinter der Neueröffnung.

Ein echtes Dreamteam: Konditormeister Marcel Reinhardt (24) und Inhaberin Inka Orth (59) haben sich für die Verwirklichung von Johannas Traum zusammengetan.
Ein echtes Dreamteam: Konditormeister Marcel Reinhardt (24) und Inhaberin Inka Orth (59) haben sich für die Verwirklichung von Johannas Traum zusammengetan.  © TAG24/Franziska Rentzsch

Erst Ende Februar eröffnete Am Sandtorkai nahe der Elbphilharmonie ein ganz besonderes Café. Doch schon wenige Tage später musste die Patisserie schon wieder schließen. Der Grund: Überfüllung!

Bis zu zwei Stunden standen Menschen hier an, um die einzigartigen Pralinen und Croissants einmal selbst probieren zu können.

"Wir hatten überhaupt nicht damit gerechnet", erinnert sich Marcel Reinhardt heute. Mit nur drei Konditoren versuchten er sowie die Inhaber Inka (59) und Ralph Orth (60), mit der Produktion hinterherzukommen. "Wir sind wirklich fast untergegangen", so Inka Orth.

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Die Bilder der süßen Teilchen hatten vor allem Social-Media-Foodies im Rekordtempo auf den Plan gerufen. Zuletzt warben Influencer wie Stefano Zarrella (33) oder David Puentez (38) für die Patisserie.

Doch viele Menschen kamen auch, weil sie von der emotionalen Geschichte hinter der Neueröffnung gehört hatten.

"Es gibt auch schon mal Menschen, die vor einem stehen und weinen und das ist auch völlig in Ordnung", so Inka Orth zu TAG24.

Johanna (†22) kam bei der Flut im Ahrtal ums Leben

Inka Orth steht in der "Pâtisserie Johanna", die ihrer verstorbenen Tochter gewidmet ist.
Inka Orth steht in der "Pâtisserie Johanna", die ihrer verstorbenen Tochter gewidmet ist.  © TAG24 Franziska Rentzsch/Pâtisserie Johanna (Bildmontage)

Denn die "Pâtisserie Johanna" ist nach ihrer Tochter benannt, die mit nur 22 Jahren bei der verheerenden Flut im Ahrtal 2021 ihr Leben verlor.

Die Konditormeisterin hatte ihre Prüfung gerade erst bestanden und träumte von einem eigenen Café – eigentlich in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Den Business-Plan dazu hatte sie bereits in der Schublade, benennen wollte sie das Lokal nach ihrer Großmutter Marlies. "Johanna hatte eigentlich den Traum ihrer Oma umsetzen wollen, die auch immer vom eigenen Café geträumt hatte. Jetzt haben wir den Traum der beiden verwirklicht", erzählt Inka Orth.

Die Patisserie trägt nun Johannas Namen und auch in Form großformatiger Porträts im Café, als lebensgroße Bronze-Statue im Eingangsbereich oder mit der von ihr kreierten Signature-Praline bleibt sie immer präsent.

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"Das tut mir und meinem Mann auch gut. Dass sie hier wirklich der Mittelpunkt ist", sagt ihre Mutter.

Inka und Ralph Orth verwirklichten den Traum ihrer Tochter

Wegen Überfüllung musste die "Pâtisserie Johanna" im Februar kurzfristig wieder geschlossen werden: Ein Bestseller ist bis heute die Croissant Roll.
Wegen Überfüllung musste die "Pâtisserie Johanna" im Februar kurzfristig wieder geschlossen werden: Ein Bestseller ist bis heute die Croissant Roll.  © Screenshot/Instagram/patisserie_johanna (Bildmontage)

Dass die Wahl auf einen Standort in der Hamburger Hafencity fiel, hat mehrere Gründe. So war Hamburg schon immer die Lieblingsstadt des Ehepaares. "Aber uns war auch klar: Für diese innovative Patisserie ist das Ahrtal noch nicht reif", so Inka Orth. Nach der Flut gleiche ihre Heimat einer Großbaustelle, es kämen nach wie vor nur wenig Touristen in die Gegend.

Und auch die Distanz zu dem Ort, an dem Johanna ihr Leben verlor, scheint bei der Trauer zu helfen. Den Stadtteil, in dem Johanna wohnte und letztlich mitten in der Nacht von den Fluten überrascht wurde, meidet die Mutter noch heute. Zwar pendelt das Ehepaar wöchentlich in die eigentliche Heimat – allein schon, um dort Johannas Grab zu besuchen – doch in Hamburg scheinen sie den perfekten Ort für einen Neuanfang gefunden zu haben. "Hamburg war die beste Entscheidung!"

Der kreative Kopf ist Marcel Reinhardt, den Inka Orth kennenlernte, als sie sich selbst in der Patisserie ausbilden ließ: "Ich bin eines Morgens wachgeworden und habe gesagt: 'Ich muss wissen, was Johanna gelernt hat.'" Im Januar 2022 sprach sie das erste Mal mit Marcel über die Idee, gemeinsam eine Patisserie zu eröffnen. Für ihn kam das ziemlich überraschend: "Mit 21 denkt man da noch gar nicht dran. Das war eine totale Lebensentscheidung." Doch nach etwas Bedenkzeit sagte er dann entschlossen zu.

Nur zwei Jahre später wurde die Patisserie auf einer Fläche von 700 Quadratmetern eröffnet – und übertraf dabei alle Erwartungen.

"Das ist Handwerk. Wir reißen hier nicht nur Kartons auf."

Schnell wurden auch Food-Influencer wie Stefano Zarrella (33, M.) auf die Patisserie aufmerksam.
Schnell wurden auch Food-Influencer wie Stefano Zarrella (33, M.) auf die Patisserie aufmerksam.  © Screenshot/Instagram/stefanozarrella (Bildmontage)

Viral ging vor allem die New-York-Roll, ein Croissant mit Schokoladenüberzug und Salzkaramellfüllung.

"Die konnten wir so schnell gar nicht produzieren. Wir mussten den Menschen erklären: Das ist Handwerk. Wir reißen hier nicht nur Kartons auf", so Inka Orth weiter.

An einem dieser ersten Tage habe Marcel vor ihr gestanden und gefragt: "Was haben wir gemacht?" Doch sie habe geantwortet: "Marcel, du wolltest doch immer wie Cedric Grolet eine Schlange vorm Laden haben. Jetzt musst du auch liefern." Und genau das tat er, stand von morgens bis abends in der Backstube. "Man muss schon mit Herzblut dabei sein", weiß der junge Konditormeister.

Heute hat sich der Betrieb eingependelt: Inzwischen arbeiten mehr als 20 Menschen hinter den Kulissen, um die Theken stets mit den filigranen Kunstwerken zu füllen.

Die Betreiber können sich übrigens auch vorstellen, irgendwann mit einem Ableger der Patisserie ins Ahrtal zurückzukehren. Doch das sei aktuell noch Zukunftsmusik.

"Im Vordergrund steht bei uns, Johannas Traum zu verwirklichen. Und an zweiter Stelle, junge Menschen für das Handwerk zu begeistern", so Inka Orth abschließend. "Aber wer weiß, was irgendwann noch kommt."

Titelfoto: TAG24/Franziska Rentzsch

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