Nicht nur Töchter entsetzt: Mächtig Kontra für "Stadtbild"-Äußerung des Kanzlers
Von Stefan Heinemeyer, Alexander Sturm, Tatjana Bojic, Dorothea Hülsmeier, Sarah Knorr
Berlin - Bundeskanzler Friedrich Merz (69, CDU) schlägt wegen seiner Bemerkungen über das "Stadtbild" und die Migration weiterhin geballte Kritik entgegen.

Aus der SPD kommt der Vorwurf, damit sozialen Unfrieden zu stiften. Linke und Grüne hielten dem CDU-Chef Rassismus und AfD-Rhetorik vor. In der eigenen Partei erhielt Merz viel Zustimmung, es gibt aber auch kritische Stimmen und den Wunsch nach Klarstellung. Am Abend machten vor der CDU-Zentrale in Berlin Tausende Menschen ihrem Unmut gegen Merz Luft.
Merz hatte vergangene Woche auf einer Pressekonferenz in Potsdam auf die Frage zum Erstarken der AfD unter anderem gesagt, man korrigiere frühere Versäumnisse in der Migrationspolitik und mache Fortschritte.
"Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen."
Am Montag blieb Merz bei seiner Haltung und sagte: "Fragen Sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte. Ich vermute, Sie kriegen eine ziemlich klare und deutliche Antwort. Ich habe gar nichts zurückzunehmen."
Vereinzelte Kritik auch aus der Union

Ex-Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet (64, CDU) hält die "Stadtbild"-Aussage für "zu nebulös". Die Unklarheit dessen, was Merz damit gemeint habe, könnte die AfD für sich nutzen, sagte der heutige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags in Düsseldorf.
Die AfD werde bei der nächsten Bundestagswahl natürlich fragen, ob das "Stadtbild" besser geworden sei, sagte Laschet.
Merz hätte klarer formulieren können, was er gemeint habe, so Laschet. Es gehe beim Stadtbild nicht nur um Migration. Zum Stadtbild gehörten etwa auch von deutschen Süchtigen weggeworfene Drogenspritzen in Parks, Antisemiten, die Hamas-Parolen brüllten, oder Rechtsradikale, die durch Straßen zögen.
Auch der Chef des CDU-Sozialflügels, Dennis Radtke (46), hatte sich kritisch zu Merz' Wortwahl geäußert. Viele in der Union waren dem CDU-Chef aber beigesprungen.
Vorwurf der AfD-Rhetorik

Ganz anders Linke und Grüne. Linksfraktionschefin Heidi Reichinnek (37) warf Merz vor, er instrumentalisiere Frauen für "blanken Rassismus". "Wenn Frauen nachts allein nach Hause laufen, haben sie keine Angst vor Migranten, sie haben Angst vor Männern. Das Problem ist eine gewalttätige und grenzüberschreitende Männlichkeit", sagte Reichinnek dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Der gefährlichste Ort für Frauen sei ihr eigenes Zuhause. Ginge es Merz um den Schutz von Frauen vor Gewalt, müsste er die Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen sichern und in Gewaltprävention investieren, sagte Reichinnek.
Grünen-Fraktionsvize Misbah Khan (35) kritisierte: "Merz schlägt Töne an, wie wir sie sonst von der AfD hören." "Solche Aussagen sind eines Kanzlers unwürdig", sagte Khan der Deutschen Presse-Agentur. Statt Brücken zu bauen, spalte Merz die Gesellschaft und gieße Öl ins Feuer rechter Stimmungsmache.

Am Dienstagabend demonstrierten vor der CDU-Zentrale in Berlin nach Polizeiangaben rund 2000 Menschen unter dem Motto "Feministische Kundgebung: Wir sind die Töchter".
Die Veranstalter sprachen von 7500 Teilnehmern. Dabei waren auch die Grünen-Co-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge (41) und die frühere Grünen-Parteichefin Ricarda Lang (31). Am Mittwoch soll es auch eine Demo in Kiel geben, die von Fridays for Future organisiert wird.
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