Verschleppt, gedemütigt, misshandelt: Diese Tat hat mein Leben zerstört!

Fulda - Sie wurde vor ihrer Haustür abgefangen, verschleppt, festgehalten, missbraucht und übel zugerichtet: Petra M.* (Name geändert) hat erstmals über den schlimmsten Tag ihres Lebens berichtet, der auch knapp 25 Jahre später noch allgegenwärtig ist. TAG24 vertraute sie ihre unglaubliche Geschichte exklusiv an.

Diese Aufnahmen der damals 19-Jährigen entstanden kurz nach dem Martyrium.
Diese Aufnahmen der damals 19-Jährigen entstanden kurz nach dem Martyrium.  © privat

Fulda in Hessen, 29. März 1996. An jenem kalten Freitagabend besucht die heranwachsende Petra (19) ihren Freund im Krankenhaus und fährt anschließend mit dem letzten Linienbus um 22.20 Uhr zurück nach Hause. So zumindest lautete der Plan. Doch dort sollte sie nicht ankommen.

150 Meter entfernt von einem von ihr in einer WG bewohnten Hochhaus im sozialen Brennpunkt auf dem Aschenberg wird sie 20 Minuten später von vier Personen abgefangen.

Petra kennt das Quartett zwar flüchtig, wird es an diesem Abend aber von einer ihr ungeahnten neuen Seite kennenlernen. Nicht, weil sie will. Sie wird dazu gezwungen.

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Gegen ihren Willen zerren die beiden Männer (23, 28) und Frauen (22, 23) sie in eine gegenüberliegende Hochhaus-Wohnung, die damals von einem der Täter bewohnt wurde. Dort beginnt das für sie nur schwer in Worte zu fassende Martyrium.

"Der Haupttäter hat mir zwei Stunden durchgehend mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen, bis seine Handinnenflächen aufplatzten", berichtet M. heute. "Danach haben sie russisch Roulette mit mir gespielt. Die haben den Revolver vor mir geladen, die Trommel gedreht, mir an den Kopf gehalten und abgedrückt. Ich hatte wirklich richtig, richtig Todesangst."

Fortsetzung der Misshandlung im Keller und anschließend nackt in Eiseskälte auf die Straße

Der Fuldaer Aschenberg gilt als Brennpunkt. In einem der Hochhäuser ereignete sich am 29. März 1996 die schreckliche Tat.
Der Fuldaer Aschenberg gilt als Brennpunkt. In einem der Hochhäuser ereignete sich am 29. März 1996 die schreckliche Tat.  © imago images/MedienServiceMüller

Doch damit nicht genug. Schon zu diesem Zeitpunkt schwer gezeichnet von den körperlichen Misshandlungen, fuhren die vier Täter mit ihr in den Keller. Dort seien Pornoaufnahmen von ihr gemacht worden: "Ich musste mir dabei ein kleines Püppchen einführen!"

Aber auch danach war für die 19-Jährige noch kein Ende in Sicht. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt musste Petra mehrere Kilometer, sie schätzt drei bis fünf, splitterfasernackt die Wiener Straße, eine Hauptader des Aschenbergs, hinunterlaufen, "während sie mit dem Auto und dem Revolver auf mich gerichtet nebenhergefahren sind".

Zwar seien ihr mehrere Fahrzeuge entgegengekommen und hätten das nackte Mädchen mit dem in Schritttempo nebenherfahrenden Wagen bemerken müssen, "aber es hat niemanden interessiert".

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Gegen 1.30 Uhr schmissen die vier Personen die Klamotten der jungen Frau vor der damaligen Bar "Queue" aus dem Autofenster. "Ich habe mich in einer ruhigen Ecke angezogen und eine Taxifahrerin vor der Kneipe gefragt, ob sie mich ins Krankenhaus fahren kann." Die verneinte aber und fuhr weiter, weil die offensichtlich verletzte und dem Zusammenbruch nahe Petra kein Geld dabei hatte.

Als sie Hilfe in dem Lokal im Ortsteil Horas suchte, hätten die Gäste fluchtartig die Räumlichkeiten verlassen, als sie das misshandelte Mädchen sahen. Eine Angestellte schenkte ihr eine Cola aus und rief die Polizei.

Polizei fragt nach Details des ungeheuerlichen Missbrauchs - 19-Jährige bricht in Tränen aus

Das linke Auge zugequollen, das Gesicht von Blutergüssen übersät: So übel wurde das Missbrauchsopfer 1996 zugerichtet.
Das linke Auge zugequollen, das Gesicht von Blutergüssen übersät: So übel wurde das Missbrauchsopfer 1996 zugerichtet.  © privat

Die kurz darauf eingetroffenen Beamten hätten sie gefragt, wer ihr das alles angetan hat. "Aus Angst habe ich gesagt, dass ich es nicht weiß. Der Täter hat mir vorher gesagt, er bringt mich um, wenn ich irgendwas sage."

Ein Polizist habe sie mit dem Namen des schon damals polizeibekannten Haupttäters konfrontiert, worauf die 19-Jährige in Tränen ausgebrochen sei. "Danach haben sie die Fahndung rausgegeben."

Petra M. wurde anschließend eine Woche lang stationär auf der HNO-Station des hiesigen Krankenhauses aufgenommen, kurz darauf begab sie sich für zwei Monate in eine Psychiatrie.

Der damals 23-jährige Haupttäter wurde wenige Tage nach dem Verbrechen festgenommen, Petra erhielt Polizeischutz.

Der dafür eingesetzte Beamte sagte ihr: "Ich habe in 30 Dienstjahren noch nie so viel Brutalität und Abgebrühtheit gesehen."

Prozess startet: "Ich habe ihn gefragt, was er sich einbildet, so ein Dreckschwein zu verteidigen"

Vor dem Landgericht Fulda fand am 18. und 19. März 1997 der Prozess gegen den Haupttäter und seine Komplizen statt.
Vor dem Landgericht Fulda fand am 18. und 19. März 1997 der Prozess gegen den Haupttäter und seine Komplizen statt.  © Arne Dedert/dpa

Ein gutes Jahr später, am 18. und 19. März 1997, fand der Prozess vor dem Landgericht Fulda statt.

Bevor die 19-Jährige ihre Zeugenaussage machte, habe sie etwa sechs Stunden vor dem Verhandlungssaal warten müssen, weil der Hauptangeklagte zwischenzeitlich aufgrund seines Rechts an einem warmen Mittagessen in die JVA gebracht wurde.

"Bei dieser Unterbrechung kam der Haupttäter ohne Handschellen oder andere Sicherungen aus dem Saal direkt auf mich zu, hat sich vor mich gestellt und dreckig gelacht", erinnert sich das Opfer heute mit zerbrechlicher Stimme.

Der Beamte, der ihr Polizeischutz gab, ging zwar dazwischen, später in der Verhandlung sei sie aber auch vom Verteidiger des 23-Jährigen gedemütigt worden.

Er habe sie gefragt, welche Kleidung sie am Tattag getragen habe und ob sie dadurch die Tat provoziert haben könnte. "Da bin ich ausgerastet und habe ihn erstmal gefragt, was er sich überhaupt einbildet, so ein Dreckschwein zu verteidigen."

Dennoch antwortete sie auf die unverschämte Frage: "Es war kalt und schon dunkel, ich hatte einen Pullover, eine Jacke, eine Jeans und knöchelhohe Stiefeletten an."

Dreimal Bewährung - Richter halbiert die vom Staatsanwalt geforderte Haftstrafe für den Haupttäter

Während der damalige Staatsanwalt fünf Jahre für den 23-jährigen Haupttäter forderte, wurde er "nur" zu einer zweieinhalbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt - wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Nötigung. Das bestätigte die Staatsanwaltschaft Fulda auf TAG24-Anfrage. Anschließend sei laut Angaben des Opfers gegen ihn auch eine Sicherungsverwahrung verhängt worden.

Die Freiheitsstrafen gegen eine 22-Jährige (ein Jahr und drei Monate), eine 23-Jährige (neun Monate) und einen 28-Jährigen (neun Monate) wurden jeweils zur Bewährung ausgesetzt.

Opfer lebt heute von Rente und kämpft mit massiven Schlafstörungen

Körperliche Folgeschäden hat Petra M. zwar keine davongetragen. Psychisch machen ihr die Geschehnisse auch 25 Jahre später aber noch immer schwer zu schaffen.

"Mein Leben hat sich von einer auf die andere Sekunde komplett verändert. Ich war eigentlich zu nichts mehr in der Lage. Es kommen immer wieder Flashbacks. Massive Schlafstörungen und Alpträume gehören dazu."

Einen Beruf ausüben konnte die heute 44-Jährige, die sich noch heute in Behandlung befindet, nie wieder. Sie lebt von einer kleinen Arbeitsunfähigkeits- sowie einer Opferentschädigungsrente, würde gern wieder ins Rhein-Main-Gebiet ziehen.

Die Tat vergessen können wird sie nie wieder. Dafür hat sich das Martyrium zu sehr in ihr Gedächtnis eingebrannt. Verständlicherweise.

Titelfoto: Bildmontage: imago images/MedienServiceMüller, privat

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