Angeblich kannte sie keiner: Kritik nach Polizei-Maßnahme gegen Juliane Nagel bei Leipzig-Demo

Leipzig - Der Polizeieinsatz bei der Demonstration zum "Tag der Jugend" in Leipzig, bei der die Versammlungsleiterin und Linken-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (44) kurzzeitig festgesetzt worden war, zieht Kritik nach sich.

Die Polizei ist bei der Maßnahme gegen Leipzigs Stadträtin Juliane Nagel (44) offenbar nicht zimperlich vorgegangen.
Die Polizei ist bei der Maßnahme gegen Leipzigs Stadträtin Juliane Nagel (44) offenbar nicht zimperlich vorgegangen.  © News5

Der SPD-Innenpolitiker Albrecht Pallas (43) bezeichnete Videobilder des Vorgehens auf Twitter als "sehr irritierend". Er kündigte eine "Nachbetrachtung im Innenausschuss" an. Auch Politiker von Linken und Grünen kritisierten den Einsatz.

Die Polizei hatte erklärt, man habe Nagel am Donnerstagabend festgehalten, weil "die Störung einer Amtshandlung" im Raum stehe. Den handelnden Einsatzkräften sei die Politikerin unbekannt gewesen. Nachdem ihre Identität festgestellt worden sei, habe man Nagel wieder entlassen.

Die Abgeordnete, die auch Stadträtin in Leipzig ist, hatte in einem Videostatement berichtet, dass sie "relativ brutal" zu einem Polizeiauto geschleppt worden sei. "Im Polizeiauto ist mir auch gesagt worden, dass es den Beamten scheißegal ist, ob ich eine Abgeordnete bin."

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Ihre Anwältin habe die Polizei in Telefonaten darauf hingewiesen, dass sie so nicht vorgehen könne.

Der Grünen-Innenexperte Valentin Lippmann (32) erklärte auf Twitter, ein solches Vorgehen gegen eine Versammlungsleiterin, die zugleich Landtagsabgeordnete ist, sei "indiskutabel". Die Linken-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz (56) sprach von einer womöglich gewollten Eskalation der Polizei und Polizeiführung bei der Demo am Donnerstag und einer vorherigen am Mittwoch.

Demo zum "Tag der Jugend" hatte nichts mit dem "Tag X" zu tun

Die Polizeipräsenz während der "Tag der Jugend"-Demonstration am Donnerstagabend war groß.
Die Polizeipräsenz während der "Tag der Jugend"-Demonstration am Donnerstagabend war groß.  © Silvio Bürger

In Leipzig ist die Lage seit dem Mittwoch angespannt. An dem Tag war das Urteil gegen die Studentin Lina E. (28) und drei Mitangeklagten wegen Überfällen auf vermeintliche oder tatsächliche Neonazis gefallen.

Am Mittwochabend war eine Soli-Demo für Lina E. in Leipzig gleich zu Beginn gestoppt worden. Danach eskalierte die Lage kurzzeitig, es flogen Böller und Steine auf die Polizeibeamten.

Die linke Szene mobilisiert seit Langem überregional für den Samstag nach dem Urteil zu einem "Tag X" nach Leipzig. Die Stadt hat diese geplante Demo inzwischen verboten, weil ein unfriedlicher Verlauf zu befürchten sei.

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Der Anmelder hat dagegen geklagt. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Leipzig steht noch aus.

Die Kindertags-Demo am Donnerstag hatte an sich nichts mit dem "Tag X" zu tun. Sie war gleichwohl von einem starken Polizeiaufgebot begleitet worden, ein Hubschrauber kreiste über der Stadt. Laut Polizei hatte die Demo 170 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Am "Tag X" am Samstag werden erneut, wie bereits am Mittwoch, Ausschreitungen erwartet.
Am "Tag X" am Samstag werden erneut, wie bereits am Mittwoch, Ausschreitungen erwartet.

Gespräch zwischen Polizeichef und Juliane Nagel

Nagel selbst berichtete noch am Abend, dass sie brutal zu einem Einsatzfahrzeug geschleppt worden sei.
Nagel selbst berichtete noch am Abend, dass sie brutal zu einem Einsatzfahrzeug geschleppt worden sei.  © News5

Nach der Polizeimaßnahme gegen hat es am Freitag ein Gespräch mit dem Leipziger Polizeipräsidenten und dem sächsischen Innenminister gegeben. Die Runde sei auf Initiative des Polizeichefs René Demmler zusammengekommen, sagte ein Polizeisprecher. "Es erfolgte eine sachliche und zugleich kritische Auseinandersetzung mit dem Polizeieinsatz und dem Versammlungsgeschehen, für das sie als Leiterin eine Verantwortung innehatte."

Mögliche Tatvorwürfe würden in einem rechtsstaatlichen Verfahren geklärt, erklärte die Polizei. Das müsse aufgrund der Immunität von Abgeordneten einen bestimmten formellen Ablauf haben.

Sollte ein Beamter, wie von Nagel geschildert, tatsächlich geäußert haben, es sei ihm "egal", dass sie Landtagsabgeordnete sei, dann sei diese Art der Kommunikation "weder professionell noch in der Sache angemessen" gewesen. Demmler habe dafür um Entschuldigung gebeten.

Es sei allen Beteiligen klar, dass angesichts des für Samstag angekündigten "Tag X" der linksautonomen Szene nach dem Urteil gegen die Studentin Lina E. "Verunsicherung und Ängste vor Ausschreitungen bestehen" und deshalb "ein wichtiges Mittel die Deeskalation das Gebot der Stunde" sein müsse. Der Polizeipräsident habe aber auch betont, dass die Beamten bei "Normenverstößen" handeln müssten.

Nach Angaben des Polizeisprechers waren bei der "Tag der Jugend"-Demo zahlreiche polizeifeindliche Sprüche gerufen worden. Damit habe die Demonstration aus Sicht der Polizei in Teilen nicht mehr den Verlauf einer Versammlung im Sinne des Jugend- und Kindertages genommen.

Erstmeldung von 12.46 Uhr, aktualisiert um 13.22 Uhr

Titelfoto: Bildmontage: NEWS5

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