Kommentar: AfD-Denkzettel in Sonneberg - Medien und Politik lernen nicht dazu!

Sonneberg/Erfurt/Berlin - Politik und Medien haben aus der historischen Stichwahl in Sonneberg, bei der erstmals ein AfD-Politiker in das Amt des Landrats gewählt wurde, offenbar nichts gelernt. Behält man diesen Kurs bei, wird die Gesellschaft noch mehr gespalten und die AfD wird weitere Erfolge feiern, meint TAG24-Redakteur Carsten Jentzsch.

Die Landratswahl in Sonneberg geht in die deutsche Geschichte ein. Erstmals wurde ein AfD-Politiker in das Amt des Landrats gewählt.
Die Landratswahl in Sonneberg geht in die deutsche Geschichte ein. Erstmals wurde ein AfD-Politiker in das Amt des Landrats gewählt.  © Martin Schutt/dpa

In Sonneberg hat es erstmals ein AfD-Politiker in das Amt des Landrats geschafft. Was seitdem folgte, sind Verallgemeinerungen, zu kurz gegriffene Analysen und nebensächliche, mitunter völlig unnötige Dinge, mit denen man sich nun auseinandersetzt.

Folge sind: Noch mehr Hass, noch mehr Spaltung, noch mehr Politikverdrossenheit - letztlich noch mehr Vertrauen, das die Menschen gegenüber Politik und Medien verlieren. Während das Fenster der Vernunft fast schon sperrangelweit geöffnet ist, krachen die Medien, die sich selbst gern großkotzig als vierte Gewalt bezeichnen, wie eine Fliege immer wieder gegen diese Fenster-Scheibe. Die Politik-Fliege steht ihr in dieser Hinsicht in nichts nach!

Vernunft bedeutet in diesem Zusammenhang im Übrigen: Sich eigene Fehler eingestehen und nicht ständig mit dem Finger auf andere zu zeigen sowie Dinge zu hinterfragen! Nicht zu moralisieren, sondern zu argumentieren!

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Ein gutes Beispiel dafür, wie es nicht laufen sollte, ist ein Gespräch in den Tagesthemen am Montag zwischen Moderatorin Caren Miosga (54) und Thüringens CDU-Chef Mario Voigt (46). Plötzlich geht es um eine Aussage Voigts, die er schon vor Wochen getätigt hat.

Mäuse werden zu Elefanten

Zu Jahresbeginn wurde die Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen befeuert. Eine Analyse des Forschungsinstituts Media Tenor beobachtete laut übereinstimmenden Berichten mangelnde Vielfalt in der Darstellung der Parteien in den Nachrichtensendungen von ARD und ZDF. (Symbolbild)
Zu Jahresbeginn wurde die Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen befeuert. Eine Analyse des Forschungsinstituts Media Tenor beobachtete laut übereinstimmenden Berichten mangelnde Vielfalt in der Darstellung der Parteien in den Nachrichtensendungen von ARD und ZDF. (Symbolbild)  © Soeren Stache/dpa

"Jetzt will er (Anm. d. Red.: Robert Habeck, 53, Grüne) die Energie-Stasi einsetzen, um wie in einem Schnüffel-Staat den Menschen in den Heizungskeller zu gucken." Miosga maßregelt, "Energie-Stasi" und "Schnüffel-Staat" seien AfD-Sprache. Inwiefern Voigt mit so einer Aussage selbst Verantwortung trage für das Wahlergebnis in Sonneberg, will die Moderatorin wissen.

An der Stelle frage ich mich: Was ist denn typische AfD-Sprache? Wie würde man eine solche Sprache, die Voigt wählte, bezeichnen, wenn es die AfD gar nicht gäbe? Ich lebe jedenfalls mit der festen Überzeugung, dass Politik ein Feld ist, in dem Sprache auch auf provokante Weise eingesetzt werden sollte, um Probleme anzusprechen, um aufzurütteln, um zu animieren, nachzudenken.

Stattdessen aber fliegt man auch in den Tagesthemen mit voller Wucht gegen die Scheibe der Vernunft. Es geht an der Stelle mal wieder um eine unglaubliche Nebensache. Nur zur Einordnung: Sprache kann verletzen, kann schlimmes Unheil anrichten!

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Aber die Formulierung Voigts ist schlicht und ergreifend Peanuts! Diese Aussage überhaupt zu diskutieren und diese dann auch noch an die Frage einer mutmaßlichen Mitschuldigkeit Voigts am Wahlausgang in Sonneberg zu knüpfen, ist an Absurdität nicht zu überbieten und zeigt mal wieder eines: Wir leben in einer Gesellschaft, in der kleine Mäuse immer häufiger - fast schon exzessiv - zu riesigen Elefanten aufgeblasen werden.

Die Erzählung vom Nazi-Sumpf

Thüringens AfD-Chef Björn Höcke (51, l.) - hier neben Sonnebergs Neu-Landrat Robert Sesselmann (50, M.) sowie dem Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla (48, r.) - sprach angesichts des Wahlerfolgs in Sonneberg vom "politische[n] Wetterleuchten über dem Rennsteig".
Thüringens AfD-Chef Björn Höcke (51, l.) - hier neben Sonnebergs Neu-Landrat Robert Sesselmann (50, M.) sowie dem Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla (48, r.) - sprach angesichts des Wahlerfolgs in Sonneberg vom "politische[n] Wetterleuchten über dem Rennsteig".  © Martin Schutt/dpa

Und das zählt im Übrigen mit zu den Dingen, weshalb viele Menschen sich von der Politik abwenden oder eine Partei am rechten Rand des Spektrums wählen. Immer mehr Menschen haben die Nase voll von dieser Politik!

Eine Politik, die hochsensibel und hypermoralisch darüber diskutiert, welche Formulierungen irgendwelche Minderheiten potenziell verletzen könnten, die mit Bleifuß aufs Klima-Gas drückt, obwohl diese Eile im Vergleich zu anderen Ländern in keinster Weise angebracht ist, eine Politik, die sich viel zu oft in Nebensächlichkeiten verliert, anstatt den Blick zu hundert Prozent auf die ernsten und drängenden Probleme zu richten.

Vertrauen verlieren in diesem Zusammenhang auch immer mehr Menschen in die Medien, eben wegen solcher absurden und zu kurz gegriffenen Analysen. Wegen des ständigen moralischen Fingerhebens!

Und wegen Beiträgen, die bezogen auf Sonneberg zuletzt wohl nur eines wollten: die Erzählung von Sonneberg als durch und durch im Nazi-Sumpf steckenden, dunkelbraunen Ort bestätigen. Achtung: Es gibt ihn nicht!

Nun mag man meinen: Es war nur eine Landratswahl. Das ist richtig! Doch jede Entwicklung - ob gut oder schlecht - mag zu Beginn betrachtet klein erscheinen.

Politik und Medien treiben Spaltung voran

Was bei einer Landratswahl funktioniert, kann auch bei einer Landtagswahl zu einem blauen Denkzettel führen, kann auch in anderen ostdeutschen Bundesländern und schließlich im Westen ins Rollen kommen. Dann war der Erfolg der AfD in Sonneberg keineswegs eine Eintagsfliege!

Politik und Medien betätigen jedenfalls auch nach der Wahl in Sonneberg, den Kurs nicht grundsätzlich ändern zu wollen, das Land also weiter zu spalten. Und so wird das Vertrauen der Menschen in diesen Staat noch mehr schwinden. Was ich an der Stelle nicht unerwähnt lassen möchte, ist die Tatsache, dass es hier und da durchaus kritische Stimmen gab und gibt.

Stimmen, die tatsächlich in Richtung Selbstkritik und Fehlersuche gehen, aber letztlich alles überschaubare, bisweilen oberflächliche Phrasen - nichts, wo man sagt: Die Fliege schafft es aus dem mit Moral und Nebensächlichkeiten vollgestopften, baufälligen vier Wänden nach draußen.

Titelfoto: Martin Schutt/dpa

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