Kommentar: 100 Milliarden für die Bundeswehr – steckt dieses Geheimnis hinter dem Plan?

TAG24-Redakteur Florian Gürtler befasst sich in seinem Kommentar mit dem geplanten 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr. Er fordert, ruhig noch ein paar Milliarden draufzulegen.

100 Milliarden Euro! Diese gewaltige Summe hat Bundeskanzler Olaf Scholz (63, SPD) in Reaktion auf den Angriffskrieg der russischen Armee gegen die Ukraine als geplantes Sondervermögen für die Bundeswehr aus dem Hut gezaubert. Die politische Debatte darüber ist entbrannt, dabei verdient ein Aspekt besondere Beachtung, denn er könnte für uns alle von größter Bedeutung sein.

Bundeskanzler Olaf Scholz (63, SPD) kündigte am Sonntag im Bundestag das geplante 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr an.
Bundeskanzler Olaf Scholz (63, SPD) kündigte am Sonntag im Bundestag das geplante 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr an.  © Bernd von Jutrczenka/dpa

Es fällt auf, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner (43, FDP) für das Sondervermögen eine Finanzierung durch neue Schulden in Aussicht stellt – Schulden?

Dass der FDP-Vorsitzende nicht an Steuererhöhungen denkt, ist verständlich, seine Partei würde auf die Barrikaden gehen.

Doch eigentlich hätte man von Lindner und seinen Liberalen doch erwartet, dass sie nun Einsparungen beim Sozialstaat zur Finanzierung der Riesen-Geldspritze für Luftwaffe, Heer und Marine ins Spiel bringen, doch davon ist nicht die Rede. Was ist passiert?

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Tatsächlich kann bei der politischen Elite Deutschlands schon seit einiger Zeit mehr und mehr eine neue Sicht auf das Thema Staatsschulden ausgemacht werden. Schon die enormen Kosten der Coronavirus-Pandemie wurden auf diesem Weg geschultert, ebenso die Finanzkrise 2008.

Staatsschulden und Inflation: Doch kein direkter Zusammenhang?

TAG24-Redakteur Florian Gürtler (44) lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.
TAG24-Redakteur Florian Gürtler (44) lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.  © Florian Gürtler

Aber wurde uns nicht über Jahre hinweg immer wieder erzählt, dass Staatsschulden die Quelle allen Übels seien, dass sie unweigerlich zu Inflation und Wirtschaftskrise führten?

Erst am Anfang des Jahres, als es erstmals seit längerer Zeit wieder eine spürbare Teuerung in Deutschland gab, wurde dies von einigen Politikern betont, darunter auch Christian Lindner.

Doch blickt man genauer hin, dann ist das Gerede über den angeblich unmittelbaren Zusammenhang von Staatsschulden und Inflation nicht wirklich ernst zu nehmen. Denn gäbe es diese kausale Verknüpfung, dann müssten wir schon seit vielen Jahren eine deutliche Teuerung haben.

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Doch diese kam erst, als die Preise für Öl und Gas in die Höhe schossen, also war wohl doch eher dies der Auslöser für die Inflation.

Steht die "Modern Monetary Theory" hinter der neuen Bereitschaft zum Schulden-Machen?

Ist Geld ein knappes Gut oder vielmehr im Überfluss vorhanden? Dies ist eine der Fragen, zu welchen die "Modern Monetary Theory" (MMT) neue Erkenntnisse liefert.
Ist Geld ein knappes Gut oder vielmehr im Überfluss vorhanden? Dies ist eine der Fragen, zu welchen die "Modern Monetary Theory" (MMT) neue Erkenntnisse liefert.  © Jens Büttner/ZB/dpa

Die neue Bereitschaft zum Schulden-Machen in der Politik könnte auch mit einer sich langsam durchsetzenden alternativen Theorie in der Ökonomie zu tun haben, der sogenannten "Modern Monetary Theory" (MMT).

Dieser neue Blick auf das Geld, das Finanzsystem und insbesondere auf die Staatsfinanzierung lehrt – sehr verkürzt gesagt –, dass es eben keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Staatsschulden und Inflation gibt, und dass Staaten unter bestimmten Bedingungen in sehr viel größerem Umfang Schulden aufnehmen können, als dies bislang debattiert wurde.

Vermutlich ist dies der Hintergrund der überraschenden Bereitschaft von Christian Lindner, das Sondervermögen für die Bundeswehr über Schulden zu finanzieren. Dass der Bundesfinanzminister dennoch ab 2023 wieder die Schuldenbremse einhalten möchte, bedeutet lediglich, dass der Geldsegen für die Soldaten wohl über sogenannte Schattenhaushalte laufen soll.

Doch sprechen wir die Wahrheit aus, seit Olaf Scholz seine 100-Milliarden-Kanone abgefeuert hat, ist die Schuldenbremse im Bund ein totes Pferd. Sie dient bestenfalls noch als Feigenblatt für ihre einstigen Unterstützer, die sich ihren Irrtum nicht eingestehen wollen.

Und nun zu den wirklich guten Nachrichten: Wenn so viel Geld für die Bundeswehr aufgebracht werden kann, dann doch sicher auch für die Bekämpfung des Klimawandels, die Stabilisierung der Rente, den Ausbau der Infrastruktur und einen Hartz-4-Satz, der den Betroffenen ein Leben in Würde ermöglicht.

Es gibt viele Baustellen in Deutschland, die Bundeswehr ist nur eine davon. Also legen Sie bitte ruhig noch ein paar Milliarden drauf, Herr Bundeskanzler.

Wenn Du mehr über die "Modern Monetary Theory" erfahren möchtest, eine leicht zu lesende Einführung ist das Buch "Mythos Geldknappheit: Modern Monetary Theory oder warum es am Geld nicht scheitern muss" des Ökonomen Maurice Höfgen.

Titelfoto: Montage: Jens Büttner/ZB/dpa, Florian Gürtler

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