Vor einem Jahr kündigte Olaf Scholz die "Zeitenwende" an - Alles nur heiße Luft?

Berlin - Kurz nach Kriegsbeginn in der Ukraine läutet Bundeskanzler Olaf Scholz (64, SPD) am 27. Februar 2022 in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag die "Zeitenwende" ein. Genau ein Jahr später stellt sich die Frage, gab es diese Wende überhaupt und was hat sich seither eigentlich getan?

Vor einem Jahr, am 27. Februar 2022, hielt Bundeskanzler Scholz seine berüchtigte Rede zur "Zeitenwende" im Bundestag.
Vor einem Jahr, am 27. Februar 2022, hielt Bundeskanzler Scholz seine berüchtigte Rede zur "Zeitenwende" im Bundestag.  © Kay Nietfeld/dpa

Insgesamt fünf "Handlungsaufträge" erklärte Scholz vor einem Jahr als notwendig, um die wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen durch den Krieg in der Ukraine zu bewältigen.

Erstens müsse die Ukraine mit Waffen unterstützt werden, um sich gegen die russischen Streitkräfte verteidigen zu können.

Zweitens gehe es darum, Präsident Wladimir Putin (70) durch Sanktionen von seinem "Kriegskurs" abzubringen und drittens zu verhindern, dass weitere europäische Staaten angegriffen werden.

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Viertens sei eine "nationale Kraftanstrengung" nötig, um die Bundeswehr zu modernisieren und die "Energieversorgung unseres Landes" zu gewährleisten.

Fünftens gelte es für Deutschland, sich zusammen mit seinen Partnern für den Frieden einzusetzen.

"Zeitenwende in Zeitlupe" - CDU kritisiert vor allem die Bundeswehr-Politik!

Die Union kritisiert vor allem die langsame Modernisierung der Bundeswehr.
Die Union kritisiert vor allem die langsame Modernisierung der Bundeswehr.  © Michael Kappeler/dpa

Der Jahrestag dieser Rede ist für die Opposition ein Anlass, Kritik an der Politik der Regierung zu äußern. Vorneweg die CDU.

Jens Spahn (42, CDU), ehemaliger Gesundheitsminister und Vize-Fraktionsvorsitzender der Union, erklärte gegenüber der "Neuen Westfälischen", der Kanzler habe sein Versprechen vor allem in Bezug auf die Bundeswehr gebrochen.

Sein Parteikollege und CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter (59) sprach gegenüber der "Augsburger Allgemeinen" gar von einem "verlorenen Jahr".

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Johann Wadephul (60, CDU), stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union, attestiert der Umsetzung dieser "großen Rede" die Note "mangelhaft" und spricht bei "ntv" von einer "Zeitenwende in Zeitlupe", vor allem bei der Ausstattung der Bundeswehr.

Bundeswehr und Waffenlieferungen - Doch was ist mit dem Rest?

Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (62, SPD, r.) genießt deutlich mehr Ansehen als seine Amtsvorgängerin.
Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (62, SPD, r.) genießt deutlich mehr Ansehen als seine Amtsvorgängerin.  © Federico Gambarini/dpa

Dabei wird deutlich, dass sich die Kritik der Union hauptsächlich gegen zwei formulierte "Handlungsaufträge" des Kanzlers richtet: die Modernisierung der Bundeswehr und die Unterstützung der Ukraine mit Waffen.

Mit dem Rücktritt von Christine Lambrecht (57, SPD) als Verteidigungsministerin und der Ernennung von Boris Pistorius (62, SPD) als Nachfolger, der kontroversen Debatte um Kampfpanzerlieferungen und der stockenden Investition des 100-Milliarden Euro Sondervermögens ist Kritik hier auch angebracht.

Doch was ist mit den restlichen drei Handlungsaufträgen?

Bemühungen ja - Zeitenwende nein!

Ob Wladimir Putin (70) von der deutschen Zeitenwende bisher beeindruckt ist? Zumindest zeigen die Sanktionen Wirkung und auch der russische Vormarsch in der Ukraine gerät immer mehr ins Stocken.
Ob Wladimir Putin (70) von der deutschen Zeitenwende bisher beeindruckt ist? Zumindest zeigen die Sanktionen Wirkung und auch der russische Vormarsch in der Ukraine gerät immer mehr ins Stocken.  © Mikhail Metzel/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Die angekündigte "Zeitenwende" in der Energieversorgung der Bundesrepublik blieb bisher aus, allerdings zeigt sich die Ampel-Regierung immerhin bemüht, Deutschland unabhängiger von anderen Staaten und fossiler Energie zu machen.

Für eine Wende waren ein paar Flüssiggas-Terminals allerdings zu wenig, gerade da der Ausbau erneuerbarer Energien kaum vorangetrieben wurde, und der Anteil fossiler Brennstoffe sogar zunahm.

Angesichts Putins Rede zur Lage der russischen Nation lässt sich bei dem russischen Präsidenten auch kein Wille erkennen, seinen Krieg zu beenden. Mit der Aufkündigung eines Atomabkommens mit der USA macht eher das Gegenteil den Anschein.

Zwar konnte bisher verhindert werden, dass der Krieg auf weitere europäische Staaten übergreift, doch gerade in Bezug auf die Zusammenarbeit bei den Waffenlieferungen zeigt sich, dass Deutschland und seine Partner noch weit von einer "Einheit" entfernt sind.

Die Zukunft wird zeigen, ob Wendepunkt oder nicht!

Das Wort "Zeitenwende" war vielleicht die falsche Wahl für diese Rede. Vielleicht lässt sich nach einem Jahr auch noch kein abschließendes Urteil darüber fällen, ob die Wende erfolgreich herbeigeführt wurde oder nicht.

Eines ist allerdings klar: so berechtigt die Kritik auch sein mag, alle angekündigten "Handlungsaufträge" wurden von der Regierung zumindest auch angegangen, manche mehr und andere weniger erfolgreich.

Ob diese Rede letztlich auch den nötigen Wendepunkt in der deutschen Politik darstellte, muss die Politik in Zukunft beweisen.

Titelfoto: Kay Nietfeld/dpa

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